Manchmal haben wir das Gefühl, als stecke ein Kloß in unserem Hals. Oft geht derartiges Unwohlsein von allein wieder vorüber. Wenn es aber längere Zeit besteht und keine organische Ursache hat, kann es sich dabei um eine somatoforme Störung handeln.
Es handelt sich um ein breites Spektrum von Störungsbildern, deren gemeinsames Merkmal das Auftreten unterschiedlichster körperlicher Symptome ist, für die keine oder keine ausreichende organische Ursache nachweisbar ist.
In vielen Fällen treten derartige körperliche Beschwerden auch kombiniert mit oder als Folge von anhaltenden körperlichen Erkrankungen und Schädigungen auf. Bei anhaltenden Ängsten oder Belastungen sowie Traumatisierung entwickeln sich häufig aufgrund von chronischer vegetativer Übererregung somatoforme Symptome.
Somatoforme und funktionelle Störungen sind außerordentlich häufig, wobei die Angaben für alle klinisch behandlungsbedürftigen Unterformen zusammen bei etwa 10-20 % der Allgemeinbevölkerung liegen. Ein besonderes Merkmal dieser Störungen ist, dass die Betroffenen wiederholt nach einer organischen Ursache für ihre Symptome suchen und fortwährend diagnostische Abklärungen veranlassen, sogenanntes „Ärztehopping“, ohne dass sich daraus Fortschritte oder neue Ansatzpunkte für die Behandlung ergeben. Allerdings steigert sich die Verunsicherung durch widersprüchliche Befunde und erfolglose Behandlungsversuche weiter. Gleichzeitig entsteht ein schwieriges Verhältnis zwischen Betroffenen und Behandlern im Sinne, dass sich Patienten vom Arzt nicht ausreichend ernst genommen und behandelt fühlen und andererseits der Arzt die Betroffenen als kompliziert und wenig zugänglich erlebt. Häufig führt die Ungewissheit über die vorliegenden Beschwerden auch zu intensiven und belastenden Ängsten, an einer bedrohlichen körperlichen Erkrankung zu leiden, was den negativen Kreislauf weiter aufrechterhält.
Somatoforme Störungen sind unter dem ICD-Code F45 klassifiziert. Bei der Erkrankung wird insbesondere zwischen folgenden Subtypen unterschieden:
Hauptkategorie und schwerwiegendstes Störungsbild ist die Somatisierungsstörung. Sie ist gekennzeichnet durch multiple, wiederholt auftretende und häufig wechselnde körperliche Symptome, die über einen Zeitraum von mindestens 2 Jahren andauern und durch keine diagnostizierbare körperliche Krankheit erklärt werden können. Eventuell vorliegende bekannte körperliche Krankheiten erklären nicht die Schwere, das Ausmaß, die Vielfalt und die Dauer der körperlichen Beschwerden oder die damit verbundene soziale Behinderung. Symptome können auftreten im Gastrointestinalen Bereich (z.B. Bauchschmerzen, Übelkeit), Kardio-vaskulären Bereich (z. B. Atemlosigkeit, Brustschmerzen), Urogenitalien Bereich (z.B. Dysurie, Miktionshäufigkeit, Ausfluss) sowie Haut- und Schmerzsymptome (z.B. Hautverfärbungen, Schmerzen in den Gliedern, Taubheit).
Hierbei handelt es sich um eine mildere Form der vorgenannten Somatisierungsstörung. Die undifferenzierte Somatisierungsstörung kann bereits nach sechsmonatiger Krankheitsdauer festgestellt werden und weist weniger sowie geringer ausgeprägte Symptome auf.
Bei der hypochondrischen Störung besteht beim Betroffenen seit mindestens sechs Monaten die anhaltende Überzeugung an höchstens zwei schweren körperlichen Krankheiten zu leiden, manifestiert durch anhaltende körperliche Beschwerden oder anhaltende Beschäftigung mit den körperlichen Phänomenen (F45.2). Oder es besteht eine anhaltende Beschäftigung mit einer vom Betroffenen angenommenen Fehlstellung oder Missbildung (dysmorphophobe Störung, F45.21). Beide gehen mit häufigen medizinischen Behandlungen und Untersuchungen einher bei gleichzeitig hartnäckiger Weigerung zur Akzeptanz der ärztlichen Mitteilungen.
Bei dieser Störung werden Symptome so geschildert, als beruhten sie auf der körperlichen Erkrankung eines Systems oder eines Organs, das weitgehend oder vollständig vegetativ interveniert und kontrolliert wird. Betroffen sein können:
Vorherrschend wird ein andauernder, schwerer und quälender Schmerz, der durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht vollständig erklärt werden kann, beschrieben. Dieser tritt in Verbindung mit emotionalen Konflikten oder psychosozialen Belastungen auf und stellt einen primär psychischen Faktor dar, der für die Auslösung und Aufrechterhaltung der Schmerzsymptomatik identifiziert werden kann.
Im Vordergrund bestehen Schmerzen in einer oder mehrerer anatomischer Regionen, die ihren Ausgangspunkt in einem physiologischen Prozess oder einer körperlichen Störung haben. Dabei wird psychischen Faktoren eine wichtige Rolle für Schweregrad, Verschlimmerung oder Aufrechterhaltung der Schmerzen beigemessen, jedoch nicht die ursächliche Rolle für deren Beginn.
Beiden Störungen gemeinsam ist das Vorliegen von Schmerzen seit mindestens sechs Monaten, welche in klinisch bedeutsamer Weise Leiden und Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen.
Bisher ist noch keine eindeutige Ursache für die Entstehung von Somatisierungsstörungen bekannt. Es wird angenommen, dass biologische, psychologische, soziale und genetische Faktoren zusammenspielen.
Häufig wird Somatisierung als ein prozesshafter, akuter bis chronisch verlaufender Erlebens-und Verhaltensmodus beschrieben, geprägt durch einen übermäßigen Automatisierungsstil mit Klagen über Schmerzen oder Behinderungen in der Ursprungsfamilie, verbunden entweder mit mangelnder elterlicher Fürsorge oder mütterliche Überprotektivität. Dadurch entsteht ein Krankheitsverhalten mit der Tendenz, psychosozialen Stress in Form von körperlichen Symptomen wahrzunehmen und zu kommunizieren und so psychosozialen Stress zu bewältigen. Ursache können somit Erfahrungen aus Kindheit und Erwachsenenalter verbunden mit automatisierter Bewältigung, unverarbeiteter Trauer, verdrängter und unterdrückter Gefühle etc. sein.
Man geht davon aus, dass übermäßiger (seelischer) Stress zur Überlastung und Störung innerer Organe führen kann. Dadurch tritt ein Teufelskreis aus körperlicher Reaktion, daraus entstehender Angst und einer immer sensibler werdenden Wahrnehmung der eigenen Körpervorgänge in Gang.
Häufigste Symptome sind
Weitere diagnostische Kategorien wie die undifferenzierte Somatisierungsstörung, die Schmerzstörung und die somatoforme autonome Funktionsstörung bezeichnen Einschränkungen hinsichtlich Art oder Anzahl der vorliegenden körperlichen Symptome, während die hypochondrische Störung als Hauptsymptom ausgeprägte und anhaltende Ängste vor körperlichen Erkrankungen aufweist.
Um somatoforme Störungen diagnostizieren zu können, ist zunächst eine gründliche körperliche Untersuchung einschließlich der apparativen Diagnostik und Laboruntersuchungen notwendig, um das Vorliegen organischer Erkrankungen und Veränderungen, die eine vorrangig akut medizinische Behandlung erforderlich machen, auszuschließen. Das Erfassen biografischer und/oder psychosozialer Belastungsfaktoren im Rahmen einer psychologischen Anamnese ist für eine vollumfängliche Diagnostik unabdingbar, wobei auch mit dem Beschwerdebild verbundene berufliche und private Einschränkungen erfasst werden sollten. Hier können Betroffene einen wesentlichen Beitrag durch offene Selbstauskunft leisten.
Grundsätzlich gilt: Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist ein stabiles Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt. Insbesondere der Hausarzt nimmt für den Betroffenen eine Schlüsselrolle ein, denn er ist nicht nur Behandler, sondern auch Vermittler (zu Fachärzten und Physiotherapeuten) sowie Motivator (zur Aufnahme von Entspannungs- und/oder Sporttraining). Damit ein Verständnis für psychosomatische Vorgänge entsteht, ist es sinnvoll, dass der Arzt dem Patienten die Zusammenhänge von Psyche und Körper erläutert.
Die Behandlung der somatoformen Störung richtet sich nach dem beschriebenen Beschwerdebild und der entsprechenden Diagnose. Durch die verschiedensten Ursachen und der Vielzahl von Beeinträchtigungen des Alltagslebens, ist die Reduktion der körperlichen Symptome zwar ein wichtiges, aber nicht das einzige Ziel der Behandlung. Vielmehr stellen einige Ziele, wie zum Beispiel die Verbesserung der Genuss- und Entspannungsfähigkeit, unabdingbare Voraussetzungen für die langfristige Besserung der Beschwerden dar.
Leichte Symptome sind häufig bereits mittels Entspannungstechniken therapierbar. Als effektive Methoden gegen Stress gelten unter anderem
Sind die Beschwerden hartnäckiger, werden psychosomatische Medizin und Psychotherapie kombiniert. Seelische Konflikte sind aufzuspüren und in Zusammenhang mit den somatischen Störungen zu betrachten. Belastende körperliche Symptome werden durch Physiotherapie erträglicher gemacht. Nur bei besonders schwerer Symptomatik finden Medikamente Anwendung. Komplexere Fälle werden stationär in psychosomatischen Kliniken behandelt.
Es ist nicht immer möglich, sämtliche Symptome zu beseitigen. Deshalb ist es wichtig, den Betroffenen zu vermitteln, nicht jede wahrgenommene Körperfunktion gleich als Krankheitssymptom aufzufassen. Der Betroffene sollte ein Gefühl dafür entwickeln, dass Gesundheit nicht mit Beschwerdelosigkeit gleichzusetzen ist. Ziel ist es, die bestmögliche Lebensqualität herzustellen und zu konsolidieren.
Voraussetzung für die Behandlung im rehabilitativen Kontext ist das Vorliegen von Rehabilitationsbedürftigkeit und Rehabilitationsfähigkeit. Rehabilitationsbedürftigkeit besteht dann, wenn schwerwiegende Beeinträchtigungen des körperlichen und psychischen Funktionierens vorliegen, die ein gesundes Aktivitätsniveau und eine befriedigende Teilhabe an relevanten Bereichen des menschlichen Zusammenlebens (z.B. Arbeit, Freizeitgestaltung, gesellschaftliches Leben) unmöglich machen.
Rehabilitationsfähigkeit ist gegeben, wenn der Schweregrad psychischer und körperlicher Symptome bzw. Beeinträchtigungen eine Behandlung im stationären psychosomatischen Rahmen erlaubt.
Eine stationäre Behandlung ist außerdem speziell dann indiziert, wenn die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, weitere psychische Störungen vorliegen (Komorbidität) oder wenn sich Hinweise auf einen chronischen Verlauf mit wiederholter Inanspruchnahme unwirksamer oder nicht angezeigter medizinischer Behandlungen ergeben, ohne dass sich anhaltende Verbesserungen abzeichnen.
Somatoforme Beschwerden treten häufig auf: Sie machen etwa zwanzig Prozent aller hausärztlichen Konsultationen aus. Sie sind neben Depressionen und Angststörungen die häufigsten psychischen Störungen.
Die „echte“ Somatisierungsstörung mit der stärksten Symptomatik wird selten diagnostiziert. Am Häufigsten wird indes die unspezifische Somatisierungsstörung festgestellt.
Je früher eine Somatisierungsstörung erkannt und behandelt wird, umso günstiger ist die Prognose. Mittels der sorgfältigen Kombination aus körperlicher Untersuchung, psychologischer Therapie und stressabbauenden Entspannungsverfahren können Beschwerden in vielen Fällen gemildert oder sogar beseitigt werden.
Nicht jeder Kloß im Hals ist eine somatoforme Störung. Jedes somatoforme Symptom ist hingegen ein Indiz für psychischen Stress. Wenn es für andauerndes körperliches Unwohlsein keine organischen Ursachen gibt, ist es wahrscheinlich, dass unsere überladene Seele Alarm schlägt und Entlastung fordert. Je schneller wir dieser Forderung nachkommen, umso rascher werden sich unsere körperlichen Beschwerden bessern.
Ärztliche Direktorin und Chefärztin
Leitende Psychologin