Myofasziales Schmerzsyndrom

Zuletzt aktualisiert: 20.09.2024 | Lesedauer: ca. 10 Min.

Die Muskulatur gehört zu den größten Organen des menschlichen Körpers und ist eine der häufigsten Ursachen für Beschwerden des Bewegungsapparates. Dabei sind gleichermaßen Sportler sowie die Allgemeinbevölkerung betroffen.

Beziehen sich die Schmerzen auf Muskel- und Bindegewebe, wird das in der medizinischen Fachsprache als „Myofaszialer Schmerz“ bezeichnet (ICD-10-Code „M79.1“, also der Klasse der sogenannten Myalgien zugeordnet). Myofasziale Schmerzen können in Einzelmuskeln oder Muskelgruppen auftreten und werden abgegrenzt von Schmerzen an ihren Sehnen und Übergangsstellen zum Knochen.

Lesen Sie in unserem Informationsartikel nach, wie Muskeln und Faszien zusammenspielen, warum es zu Schmerzen kommen kann und wie die Therapie sowie Rehabilitationsmaßnahmen die Schmerzen beseitigen können. Dabei wird insbesondere auf das myofasziale Schmerzsyndrom (MSS) eingegangen. Werden bei Patienten keine entzündlichen, rheumatischen oder neurologischen Krankheiten festgestellt, kann das myofasziale Schmerzsyndrom Ursache für chronische Schmerzen und eine eingeschränkte Beweglichkeit sein.

Welche Ursachen haben myofasziale Schmerzen?

Die Ursachen für Beschwerden an Muskeln und Faszien sind vielfältig. Dazu gehören unter anderem direkte oder indirekte Verletzungen, Überlastung durch ständig wiederkehrende Bewegungen oder auch Fehlbelastungen. Sie können auch als Begleitsymptom einer Vielzahl von Erkrankungen auftreten.

Die Ursachen für die Schmerzen zu kennen ist für die Therapie von Bedeutung, um nach der erfolgreichen Behandlung ein Wiederauftreten zu verhindern.

Wie unterscheidet sich das myofasziale Schmerzsyndrom vom Fibromyalgie-Syndrom?

Das myofasziale Schmerzsyndrom ist eine häufige Form von Muskelschmerzen, während das Fibromyalgie-Syndrom (FMS) eine verbreitete generalisierte Variante darstellt. Beim MSS wird ein Triggerpunkt identifiziert, der durch lokale Druckempfindlichkeit, sichtbare Muskelzuckungen und ausstrahlende Schmerzen gekennzeichnet ist. Es gibt primäre (durch Überlastung der Muskulatur verursacht) und sekundäre Formen (Ursache nicht vollständig geklärt) dieses Syndroms, wobei die Diagnose rein klinisch erfolgt.

Das Fibromyalgie-Syndrom ist durch chronische Schmerzen im Bewegungsapparat, autonome Funktionsstörungen und psychische Begleiterkrankungen gekennzeichnet. Die Diagnose erfordert das Vorhandensein von chronischen Schmerzen an verschiedenen Körperstellen sowie assoziierten Symptomen.

Wie spielen Muskeln und Faszien zusammen?

Unsere Muskeln sind aktive Motoren des Bewegungssystems, die komplexen Steuerungsmechanismen unterliegen, um die Vielfalt der täglichen Bewegungsaufgaben erfüllen zu können. Dabei findet Muskelaktivität nie isoliert, auf einzelne Teile begrenzt statt, sondern immer feinjustiert und abgestimmt mit dem Gesamtorganismus. 

Auch die kleinste Körperbewegung ist meist komplex und findet koordiniert unter Einbezug ganzer Muskelgruppen statt. In diesem Zusammenhang spielen das Nerven- und Fasziensystem des Menschen ebenfalls eine wichtige Rolle.

Die Muskel-Faszie, die als Teil des Bindegewebes des menschlichen Körpers zur Vernetzung aller Organe beiträgt, findet bei Beschwerden des Bewegungssystems häufig nicht die größte Beachtung. Dabei haben in den vergangenen Jahren bahnbrechende Erkenntnisse über die Muskelfaszien unser diagnostisches Denken erweitert und neue Therapieansätze geschaffen.

Physiotherapie bei Myofaszialen Schmerzen

Faszien sind mehr als eine Bindegewebshüllen

Die Symptombezeichnung „myofaszialer Schmerz“, der sich im medizinischen Sprachjargon zunehmend häufiger findet, deutet darauf hin, dass zwei anatomische Strukturen des menschlichen Bewegungssystems beteiligt sind: Muskel und Faszie. Dabei existiert eine traditionelle Definition für Faszien, die eng gefasst ist und Faszien als „flächenhafte, dünnschichtige Bindegewebshüllen von Muskeln und inneren Organen“ beschreibt. 

Seit dem 1. Faszienkongress 2007 in Boston  hat sich, insbesondere mit Blick auf Symptome und Befunde am Bewegungsapparat, eine weiter gefasste Definition etabliert. Danach werden unter der Bezeichnung „Faszie“ alle Bindegewebsstrukturen des menschlichen Organismus, wie 

  • Sehnen, 
  • Bänder, 
  • Gelenkkapseln, 
  • Knochenhaut, 
  • Organ- und Gefäßhüllen, 
  • äußere/innere Muskelhüllen

und ähnliche verstanden. Damit bilden Faszien ein den gesamten Körper durchdringendes Bindegewebsnetzwerk mit umfangreicher Bedeutung im Gewebestoffwechsel. Sie bilden zudem die Grundlage für Wundheilungsprozesse und stehen im Dienst des Immunsystems.

Was sind Triggerpunkte im Zusammenhang mit Muskelschmerzen?

Die Erkenntnisse über die Entstehung von Schmerzen im Muskel durch sogenannte „Triggerpunkte“ haben dank der Grundlagenforschung, wie von Mense beschrieben, erheblich zugenommen. Triggerpunkte sind klar definierte Veränderungen im Muskel, von denen sowohl lokale Schmerzen als auch übertragene Schmerzen an entfernten Stellen ausgehen können.

In der klinischen Praxis stoßen wir insbesondere bei Patienten mit langanhaltenden Beschwerden im Bewegungssystem auf Muskeln, die Triggerpunkte aufweisen. Diese Triggerpunkte entstehen oft durch chronische Fehl- oder Überbelastung, ungünstige statische Körperhaltungen oder plötzliche starke Dehnungsreize während der Belastung.

Zu den etablierten Therapien beim Vorhandensein von Triggerpunkten gehören unter anderem:

  • manuelle Behandlungen,
  • Injektionen,
  • Dehnübungen.

Seit einigen Jahren hat die Stoßwellentherapie als Behandlung von Triggerpunkten an Bedeutung gewonnen.

Wie kommt es zu myofaszialen Schmerzen?

Die Kenntnis über die gängigen kettenartigen Verbindungen von Muskeln durch Faszien ist von entscheidender Bedeutung für die Analyse von Beschwerden und Funktionsstörungen im Bewegungssystem. 

Muskuläre Überlastung, ungünstige statische oder stereotype Bewegungsmuster können zu Spannungsveränderungen im myofaszialen Gewebe führen. Dies kann wiederum die Durchblutung, den Stoffwechsel und die Bewegungsmuster beeinträchtigen und potenziell Schmerzen verursachen. 

Auch wiederkehrende Mikroverletzungen in einer Region können Störungen im Zusammenspiel der myofaszialen Ketten verursachen und so entfernte, kompensierende Kettenglieder überlasten. Bekannte Beispiele hierfür sind der "Tennisarm", der "Golferellenbogen" oder auch die "Achillessehnenansatzreizung".

Patientin und Physiotherapeutin trainieren gegen myofaszialen Schmerzen

Wie werden myofasziale Schmerzen behandelt?

Die Behandlung myofaszialer Schmerzen erfordert eine ganzheitliche Betrachtung und Behandlung des Bewegungssystems, insbesondere wenn die gleichen Beschwerden wiederholt auftreten und eine symptomorientierte Lokaltherapie keine langfristige Linderung bringt.

Häufig verschreiben behandelnde Ärzt:innen nach der erstmaligen Vorstellung zur Linderung der Schmerzen zunächst einzeln oder in Kombination mit weiteren Maßnahmen eine medikamentöse Behandlung: Entzündungshemmende Medikamente, Muskelrelaxantien oder Schmerzmittel können in Betracht gezogen werden.   

Weitere positive Effekte können nachgewiesenermaßen durch manuellen Therapien am Bewegungssystem, wie myofasziale Behandlungstechniken, erreicht werden. Diese Therapieformen zielen auf die Rezeptoren in den Faszien, das vegetative Nervensystem und die viskoelastischen Elemente des Bindegewebes ab.

Zu den bewährten und effektiven Therapiemethoden gehören unter anderem:

  • Rolfing: ist eine Form der manuellen Behandlung des Bewegungssystems, die auch unter der Bezeichnung „Strukturelle Integration“ bekannt ist. Körperarbeit und Bindegewebsmassagetechniken werden kombiniert angewende
  • Manuelle Therapie: Ein Beispiel sind Muskelenergietechniken.
  • Physiotherapie: Ein Beispiel sind Bindegewebsmassagen.
  • osteopathische Verfahren: Ein Beispiel ist die Myofasciale-Release-Technik.

Nachweisbare Effekte werden durch direkte oder indirekte Beeinflussung der myofaszialen Spannung, des Bindegewebestoffwechsels und des vegetativen Nervensystem erzielt, die eine Harmonisierung von Bewegungsabläufen anstrebt.

Zu den weiteren Behandlungsformen gehören unter anderem Stoßwellen, Infiltrationen (das Einbringen fester oder flüssiger Substanz ins Gewebe, zum Beispiel eine Cortisonspritze) und kinesiologisches Taping (Funktionstaping). Dabei ist zu beachten, dass eine wissenschaftliche Evidenzbasierung meist nicht vorliegt, die Patienten aber im individuellen Fall positive Veränderungen spüren.

Die Erkenntnisse aus der Faszienforschung finden auch in aktiven Therapien wie dem Training und der Trainingstherapie Anwendung. Die vielversprechenden Ergebnisse bei der Behandlung von chronischen Achillessehnenbeschwerden oder Patellasehnenentzündungen lassen sich beispielsweise durch die Anwendung von Kombinationen aus exzentrischen Dehnungen und sensomotorischen Übungen erklären.

Warum können Muskelschmerzen an einer entfernten Stelle den Ursprung haben?

Innerhalb dieser myofaszialen Funktionsketten können Beschwerden auftreten, bei denen der Ort des Schmerzes von der ursprünglichen Störung entfernt liegt. So können zum Beispiel durch PC-Arbeit fehlbelastete Unterarmmuskeln Schmerzen in der Schultermuskultur auslösen, die als letztes Glied in der Kette von ungünstigen Ausweich- und Kompensationsbewegungen liegt.

Wie werden myofasziale Schmerzen in der Reha therapiert?

Die Rehabilitation von myofaszialen Schmerzen umfasst eine Vielzahl von Therapiemethoden, die darauf abzielen, die Schmerzen zu lindern, die Beweglichkeit zu verbessern und die funktionelle Leistungsfähigkeit des Patienten wiederherzustellen. Zu den gängigen Therapieansätzen gehören:

Manuelle Therapie

Hierzu gehören Techniken wie Massage, Triggerpunkttherapie, Faszientechniken und Gelenkmobilisation. Diese Therapien zielen darauf ab, die Durchblutung zu verbessern, Muskelverspannungen zu lösen und die Beweglichkeit der betroffenen Muskeln und Faszien zu erhöhen.

Physiotherapie

Physiotherapeutische Übungen können dazu beitragen, die Muskelkraft, Flexibilität und Ausdauer zu verbessern. Individuell angepasste Übungsprogramme können spezifische Muskelgruppen ansprechen, die bei myofaszialen Schmerzen betroffen sind, und dabei helfen, die Belastbarkeit des Gewebes schrittweise zu erhöhen.

Medikamentöse Therapie

Je nach Schweregrad der Schmerzen können auch medikamentöse Behandlungen wie entzündungshemmende Medikamente, muskelentspannende Medikamente oder Schmerzmittel in Betracht gezogen werden. Diese können vorübergehend zur Schmerzlinderung eingesetzt werden, sollten jedoch in Kombination mit anderen Therapien erfolgen.

Funktionstraining

Spezielle Übungen und Bewegungsmuster können dabei helfen, die richtigen Bewegungsmuster wiederherzustellen und Dysfunktionen zu korrigieren. Dies kann durch spezifisches Training, funktionelle Bewegungsanalysen und sensorisches Feedback erreicht werden.

Psychologische Unterstützung

Bei chronischen myofaszialen Schmerzen kann auch eine psychologische Betreuung sinnvoll sein, um mit Schmerzmanagementtechniken, Stressbewältigung und der Förderung eines gesunden Lebensstils zu unterstützen.

Die Auswahl der Therapiemethoden richtet sich nach der individuellen Situation des Patienten, der Schwere der Symptome und den Zielen der Rehabilitation . Ein multidisziplinärer Ansatz, der verschiedene Fachdisziplinen wie Physiotherapie, Sportmedizin, Orthopädie und Schmerztherapie einbezieht, kann oft die besten Ergebnisse erzielen.

Fazit

Myofaszialer Schmerz ist eine häufige Diagnose, wenn Patient:innen unter lang anhaltenden Muskelschmerzen leiden. Häufig entstehen sie durch übermäßige Beanspruchung oder fehlerhafte Bewegungen, die zudem häufig wiederholt werden.

Es gibt eine Vielzahl an verschiedenen Therapieoptionen. Je nach Schweregrad und Anschlagen der Therapie kann diese ausschließlich von einer niedergelassenen Facharztpraxis durchgeführt werden oder aber auch in einer spezialisierten Rehaeinrichtung.

Häufige Fragen zu Myofaszialem Schmerzsyndrom

Wie entsteht ein Myofasziales Schmerzsyndrom?

Ein myofasziales Schmerzsyndrom entsteht in der Regel durch Überlastung der Muskeln, was zu Mikrotraumata führen kann. Es kann auch sekundär auftreten, dessen Ursache jedoch noch nicht vollständig verstanden ist.

Welche Medikamente bei myofaszialen Schmerzen?

Zur Behandlung von myofaszialen Schmerzen können verschiedene Medikamente eingesetzt werden, darunter nicht-steroidale entzündungshemmende Medikamente (NSAIDs), Muskelrelaxantien, Antidepressiva und Antikonvulsiva.

Was bedeutet Myofascial?

"Myo" bezieht sich auf Muskeln und "fascial" auf Faszien, das bindegewebige Netzwerk, das die Muskeln umgibt und unterstützt. Das Myofasziale Schmerzsyndrom bezieht sich daher auf Schmerzen, die von den Muskeln und den sie umgebenden Faszien ausgehen.

Ist Myofasziales Schmerzsyndrom Fibromyalgie?

Nein, das Myofasziale Schmerzsyndrom und Fibromyalgie sind nicht dasselbe. Fibromyalgie ist durch weit verbreitete Muskelschmerzen, autonome Funktionsstörungen und psychische Komorbiditäten gekennzeichnet, während das Myofasziale Schmerzsyndrom eher auf lokalisierte Schmerzen in den Muskeln und den sie umgebenden Faszien beschränkt ist.

Quellen

Hanke, T. (2023, 8. September). Myofasziales Schmerzsyndrom: Ursachen, Symptome, Therapie. faszientherapie.org. https://www.faszientherapie.org/myofasziales-schmerzsyndrom/

Heuß D. et al. (2020). Diagnostik und Differenzialdiagnose bei Myalgien, S1-Leitlinie. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. www.dgn.org/leitlinien.

Portrait von Dr. Michael Grubwinkler
Facharzt für Orthopädie

Chefarzt Orthopädie